An alle Geschwister der Oasen – Realitäten der Koinonia Johannes der Täufer

Christus ist auferstanden!

Liebe Schwester und lieber Bruder,

zu Beginn des Lukasevangeliums lesen wir über den prophetischen Dienst von Johannes dem Täufer und insbesondere über seine nicht sehr angenehme Botschaft:„Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt?“ (Lk 3,7). Stellt euch mal vor, wenn wir, die heutigen Johannes der Täufer, uns auf diese Weise ausdrücken würden, und das in einer Zeit in der wir, von Corona mal abgesehen, in einem Klima von Schwierigkeiten und Unsicherheiten leben. Die Leute würden auf uns los gehen und hätten vielleicht auch guten Grund dazu. Die heutige Gesellschaft kann nicht mit der des Landes Israels des 1. Jahrhunderts verglichen werden, und dennoch dürfen wir nicht davon ausgehen, dass es den Zeitgenossen Johannes des Täufers gefallen hätte, auf diese Weise in der Öffentlichkeit zurecht gewiesen zu werden. So müssen wir nun das grundlegende Element finden, das die Menschenmengen dazu brachte, nicht nur Zurechtweisungen über sich ergehen zu lassen, sondern auch Weisung von Johannes dem Täufer zu erbitten: „Was sollen wir also tun?“ (Lk 3,10). Das Geheimnis für die außergewöhnliche Bereitschaft und den Gehorsam des Volkes wird einige Verse weiter enthüllt: „Das Volk war voll Erwartung“ (Lk 3,15). Die Erwartung macht die Herzen für Veränderung bereit. Sie ist eine wesentliche Eigenschaft der liturgischen Zeit des Advents, in welcher wir gerufen sind, in uns einen brennenden Wunsch nach seiner Ankunft wachsen zu lassen.

Der prophetische Charakter unserer Gemeinschaft, brachte uns schon von Beginn an dazu, über die Grenzen der Gegenwart hinaus zu hoffen und zu streben. Der Herr selbst leitet uns durch Seine Verheißungen und gibt dabei den Takt an, denn er will, dass wir auf Ihn bauen. In den letzten Jahren, jedoch, kann man sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kirche selbst eine gewisse Niedergeschlagenheit wahrnehmen. Diese hängt mit einem Mangel an Vertrauen in die Zukunft, in Institutionen und in stabile menschliche Bündnisse, wie die Ehe und das geweihte Leben, zusammen. Dieses Misstrauen greift auch uns an; es ist wie ein Schleier, der unser Sehvermögen beeinträchtigt und uns nicht „die Gedanken des Heils und nicht des Unheils“ des Herrn sehen lässt, der uns „eine Zukunft und eine Hoffnung“ (Jer 29,11) verheißen hat. Das verleitet uns dazu, mehr auf uns selbst als auf Ihn zu schauen. Manchmal scheint es sogar, dass die Verheißungen Gottes in dieser Welt unerreichbar sind und dass wir deren Erfüllung erst im Himmel sehen werden. Wenn wir dann auch noch einen Blick auf unsere Gemeinschaft werfen und an das Austreten von Schwestern und Brüdern, die ewige Versprechen abgelegt hatten, denken, würde damit das eben Gesagte bestätigt scheinen und so dazu beitragen, Zweifel zu hegen und niedergeschlagen zu sein.

An diesem Punkt, ohne in unserer Verantwortung nachzulassen und im Bewusstsein, dass der Herr ein eifersüchtiger Gott ist, der uns zur Heiligkeit ruft, liegt es an jedem von uns, einen Schritt zur Reife zu tun, indem wir uns die Frage stellen: Was kann ich für die Gemeinschaft tun? Was erwartet der Herr von mir?

Ich denke nicht, dass ich falsch liege, wenn ich mir die Stimme Jesu vorstelle, die dir antwortet: „Hab nur weiterhin Vertrauen in mich und die Geschwister, die dich begleiten. Sei nicht entmutigt, sondern halte deinen Blick fest auf mich und auf meine Verheißungen gerichtet.“

Das was uns wirklich geistlich wachsen und treu bleiben lässt, ist das bedingungslose Vertrauen auf den Gott der Verheißungen. Nur so und mit Hilfe der Gemeinschaft wird uns mehr und mehr bewusst werden, dass das ‘Wunder’ der Gemeinschaft, nicht von uns, von unseren Fähigkeiten und unserem Können abhängt, sondern eine von Gott geschenkte Gabe ist, die in den Demütigen wohnt. Sie wohnt in denen, die auf den Balken im eigenen Auge schauen und nicht auf den Splitter im Auge des Bruders, in denen, die auf Anklage und Erpressungslogik verzichten. Und schließlich, in denen, die im Mitbruder bzw. in der Mitschwester, trotz ihrer Armut, ein Sakrament der Gegenwart Jesu erkennen, so wie der Meister es uns gelehrt hat:„Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben (…) ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“ (Mt 26,36).

Liebe Schwester, lieber Bruder, es ist richtig, dass sich die heutige Mentalität tief von jener der Zeit Johannes des Täufers unterscheidet. Es ist aber ebenso richtig, dass der Mensch, als Geschöpf Gottes, das zu einer intimen Kindbeziehung mit dem Vater gerufen ist, in seinem Inneren Haltungen trägt, die von äußeren Umständen und vorherrschenden Meinungen beeinflusst, nicht aber zerstört werden können. Eine von diesen Haltungen ist das Vertrauen! So wollen wir nicht erlauben, dass uns das Vertrauen genommen wird, denn nur das Vertrauen entzündet die Hoffnung und bewirkt in uns einen brennenden Wunsch nach Seinem Kommen. Der, der verheißen hat, ist treu; so treu, dass Er uns seinen eingeborenen Sohn schon geschenkt hat. Das baldige Weihnachtsfest ist eine Herausforderung, jegliche Art der Routine zu überwinden und unsere rationalen Einwende, gegenüber dem pochenden Herzen des Vaters aufzugeben, der immer wieder auf kreative Art und Weise versucht uns zu erreichen.

Ich lade euch also ein, in dieser Adventszeit mehr zu beten und den Herrn an die Verheißungen, die er dir und uns als Gemeinschaft gemacht hat, zu erinnern, besonders an die, die unsere Schwester Ela Wróbel während des Seminars im Juli 2018 proklamiert hat:

„Koinonia Johannes der Täufer, als ich das erste Mal zu dir gekommen bin, habe ich dich in meinem Leib, nach meiner Vision und meinen Plänen geformt. Mein zweites Kommen war während deiner Expansion in die ganze Welt. Nun erwarte mein drittes Kommen. Sei wie ein Wächter auf deinen Mauern, schaue in die Ferne, denn ich werde zu dir kommen. Mein Kommen wird plötzlich und unerwartet sein.“

Dies hier ist Elas Auslegung: „Wir müssen das, was der Herr uns gegeben hat schützen, denn der Feind will uns spalten und schwächen. Das, was kommen wird, wird wirklich groß sein; sein Kommen wird sehr stark sein, anders als die beiden vorherigen, und es wird uns große Freude geben.“

In der Gewissheit, dass der Herr uns nicht enttäuschen wird, grüße ich dich in brüderlicher Liebe und wünsche dir einen lebendigen Advent und frohe Weihnachten.

Tiberias, 26. November 2020

P. Giuseppe De Nardi
Generalhirte